Drei Farben Blau K. Kieslowski
Von Hubert Keßler
Drei Farben Blau
Eine Freiheit, ein Ja zur Wirklichkeit, in der Begegnung wieder aufgerichtet.
Bei einem Autounfall verliert die 33 Jahre alte Julie (Juliette Binoche) ihre Tochter Anna und ihren Mann Patrice, einen sehr bekannten Komponisten. Sie erfährt von deren beider Tod, als sie aus dem Koma aufwacht. Gespiegelt in ihren Pupillen sieht man den Arzt, der ihr die traurige Nachricht überbringt. Sie dreht ihren Kopf in das Kissen und die Dramaturgie des Filmes von Kieslowski folgt im Grunde genommen dieser Perspektive: der Erfahrung eines Menschen, der alles verloren hat und nun sich in sich selbst verkrümmt und das Nichts sucht.
Fotoquelle: http://www.moviepilot.de/movies/drei-farben-blau
Der erste Selbstmordversuch schlägt fehl, sie schafft es nicht, die Tabletten zu schlucken. Der „zweite Versuch“ geht über den ganzen Film; Schritt für Schritt bricht sie alle Zelte hinter sich ab. Dass das nicht so einfach machbar ist, zeigen die Worte ihrer Hausangestellte: „Ich weine, weil sie nicht weinen können“ (und in ihren Armen liegend sagte sie) , „ich versuchte zu vergessen, aber die Bilder kommen immer wieder“. Beides ist eine Zustandsbeschreibung von Julie.
Das „Nicht vergessen Können“ und das Immer wieder Aufbrechen der erschreckenden Erfahrung eines unwiederbringlichen Verlustes wird für den Zuschauer durch die Farbe Blau und die Musik immer wieder vergegenwärtigt. Blau, hier die Farbe der Erinnerung (ihre Tochter lutschte gerade einen Lutscher, der in blaues Papier gehüllt war, das blaue Glasperlenmobile, als letzte Rückbindung an ihre Geschichte) und das blaue Wasser, nun eher Symbol für die Kälte, etwas, in das sie sich hineinstürzt, um zu vergessen. Aber auch hier schafft sie es nicht, „ganz abzutauchen aus dieser Wirklichkeit.“
Die Musik dient in vielen Momenten immer wieder der Vergegenwärtigung an das letzte Werk ihres Mannes – genauer an ihre gemeinsame Arbeit.
Damit sind wir beim Thema des Filmes: Die Farbe Blau, anspielend auf die französischen Trikolore, steht für die Freiheit. Die innere Freiheit eines Lebensmutes, eines Verlangens nach einem erfüllten Leben, hat sie vollkommen verloren.
Scheinbar, denn ein blaues Glasperlenmobile nimmt sie mit auf ihre Reise in das vermeintliche Nichts. Unbedeutend scheint das nicht zu sein, zumindest sagt ihr das indirekt der eigenartige Straßenmusiker, der ihre Musik spielt: „Man muss sich immer etwas bewahren“. Alles andere verkaufte sie, nachdem sie ihre Angestellten versorgt hat.
Doch zunächst dominiert ihre Suche der „Vernichtung - Verneinung“. „Ich habe verstanden, dass ich nichts mehr will“, sagte sie ihrer an Demenz leidenden Mutter. Sie wählt die Einsamkeit und die Leere in diesen Worten wird durch das sinnlose Gerede der Mutter für den Zuschauer wahrnehmbar. Eine Mutter, die sie nicht mehr kennt und das scheinbare Fernsehglück als Lebensersatz lebt.
Und trotz allem, es gibt jemanden an ihrer Seite: ein Freund, der in sie verliebt ist und um sie kämpft. Auch wenn sie ihn „verstößt“, bleibt er versteckt an ihrer Seite. Durch einen „Liebesakt“ zeigte sie ihm, dass alle Liebe nur romantische Schwärmerei ist. Er geht so weit, ihre Musik, die sie vernichtet glaubte, weiter zu komponieren und ihr das Verhältnis ihres Mannes offen zu legen, nur um sie aus ihrem Schneckenhaus der selbstgewählten Einsamkeit zu holen.
Sie nimmt diese Provokation auf, geht dieser Spur nach und lernt die Geliebte ihres Mannes kennen und entdeckt, dass sie ein Kind von ihrem Mann erwartet. Und hier nimmt ihr Leben und der Film eine Wende. Sie lernt eine andere Form der Liebe kennen, die Liebe, die großmütig ist, die Liebe, die alles erträgt, alles glaubt, alles erhofft und allem standhält.
Es ist die Liebe, die sie durch die Chöre in der Europahymne hat singen lassen, es ist die Liebe, die Paulus in 1 Kor 13
beschreibt: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“
Damit sind wir wieder beim Thema des Filmes: Die Freiheit, die in dieser Liebe gründet, nicht nur in einer menschlichen Großherzigkeit und Güte, die im Film in ihrer Verantwortungsübernahme für das Kind ihres Mannes gespielt wird. Es ist die Liebe, die glaubt und hofft, die fähig ist, zu verzeihen und darin auch das persönliche Glück wieder findet. Im Liebesakt am Ende des Filmes, findet die Verzweiflung ihre menschliche Erlösung und die Chöre verweisen auf den eigentlichen Grund, der all dieses auslöst und trägt.
Hubert Keßler